Der 1. Mai – Tag der Arbeit
Wenn heute ganz Deutschland den frühlingshaften Feiertag genießt, werden viele Menschen vermutlich den Grill anwerfen und den herrlichen Sonnenschein genießen. Andere hingegen werden sich einer der zahlreichen Mai-Kundgebungen anschließen, denn der 1. Mai ist bekanntlich der Tag der Arbeit. Dieser Protesttag kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken, die ihren Anfang in den Vereinigten Staaten des ausgehenden 19. Jahrhunderts nahm. Einer der Beteiligten war ein junger Deutscher, der aus wirtschaftlicher Not sein Glück in den USA suchte. Der 1855 in Hessen geborene August Spies verdiente seinen Unterhalt als Handwerker, zuerst in New York dann in Chicago. Dort wurde seine politische Einstellung bald geprägt von den Eindrücken eines von beiden Seiten brutal geführten Arbeitskampfes. Bewaffnete Aufstände von Fabrik- und Minenarbeitern wurden gleichfalls mit Gewalt niedergeschlagen und die amerikanische Arbeiterbewegung kennt zahlreiche Märtyrer, wie etwa den vielbesungenen Joe Hill.
Seit dem amerikanischen Bürgerkrieg hatte die junge Nation eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung durchlebt, Großunternehmer erschlossen gewaltige Industriezweige, Einwanderer strömten ins Land und an die Fabrikarbeitsplätze. Große finanzielle Unterschiede und sozialer Sprengstoff allerorten, aber vor allen Dingen Korruption in Politik und Justiz prägten das Land. August Spies radikalisierte sich und wandte sich mit journalistischem Engagement an die Massen. Die deutschsprachige „Arbeiter-Zeitung“ in Chicago, deren Herausgeber er wurde, richtete sich an die zahlreichen Einwanderer aus Spies Heimat und formte ein frühes Sprachrohr der unzufriedenen Arbeiterschaft. In dieser Funktion war August Spies schließlich am 1. Mai 1886 als einer der Hauptredner einer Kundgebung zur Durchsetzung des Acht-Stunden-Arbeitstages auf dem Haymarket in Chicago vertreten. Im Anschluss an die Veranstaltung begann ein mehrtägiger Streik, der jedoch bald zu Konflikten mit der Chicagoer Polizei führte. Etliche Arbeiter kamen ums Leben, die Lage eskalierte, bis schließlich eine von Unbekannten geworfenen Bombe zahlreiche Polizisten und Demonstranten in den Tod riss. Die Täter konnten nie ermittelt werden, stattdessen verurteilte ein Gericht kurzerhand eine Gruppe von Aktivisten zum Tode, darunter auch August Spies.
Die Opfer dieses Justizmordes sind heute politisch rehabilitiert, die tragischen Ereignisse dieser Maitage erschütterten jedoch in vielen Ländern die politischen Führer der Arbeiterbewegungen. Als drei Jahre später die „Zweite Internationale“ gegründet wurde, beschloss man in Gedenken an die amerikanischen Opfer, den 1. Mai künftig als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ zu begehen. 1890 feierten weltweit zahllose Menschen erstmalig gemeinsam diesen Tag. Es darf daher nicht verwundern, dass sowohl 1989 als auch 1990 Sondermarken zum „100. Mai-Feiertag“ erschienen sind.
Gelegentlich hört man, der „Tag der Arbeit“ sei doch irgendwie von den Nationalsozialisten eingeführt worden. Diese Aussage stimmt jedoch in mehrerer Hinsicht nicht. Vielmehr wurde ein bestehender Aktionstag inhaltlich neu besetzt. Am „Tag der Nationalen Arbeit“ sollte die Arbeiterschaft in Zukunft nach der Pfeife der Partei tanzen. Entsprechend wurden nur einen Tag nach der Ausrufung des neuen Arbeitertages die Gewerkschaften aufgelöst, sodass die eigentliche Zielgruppe zwar nun prächtige Aufmärsche aufgedrängt bekam, jedoch keine Interessenvertretung mehr besaß. Ein billiger Trick, vergleichbar mit dem sogenannten „Reichsparteitag des Friedens 1939“.
Die Tradition, am 1. Mai für die Interessen der Arbeiterschaft einzutreten, hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten erhalten. Heute, im wiedervereinigten Deutschland, gewinnt der 1. Mai in seiner Auseinandersetzung mit Euro-Krise und prekären Lohnverhältnissen neue, aktuelle Aspekte. Die Grundidee aber wird so lange bestehen, wie Menschen ein gerechter Lohn und sichere Arbeitsbedingungen vorenthalten werden.