Der peinliche Präsident

Der peinliche Präsident

„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger.“ Das berühmteste Zitat des heute vor 120 Jahren geborenen ehemaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke ist ihm eigentlich doch nur in den Mund gelegt worden. Angeblich hatte er diesen Fauxpas bei einem Staatsbesuch in Liberia von sich gegeben. Einen Beleg dafür gibt es allerdings nicht. Tatsächlich litt Lübke in seiner zweiten Amtszeit als Bundespräsident verstärkt an Zerebralsklerose, welche solche oder ähnliche Versprecher beförderte. Für manche Journalisten waren diese Aussetzer der einzige Grund, sich bei einer Entourage für Auslandsreisen des vermeintlich dümmlichen Präsidenten zu akkreditieren. Was ganz sicher ins Reich der Legenden gehört, ist eine der englischen Königin zugeraunte Bemerkung während eines Staatsbesuches Ihrer Majestät in Bonn. Dass das Konzert gleich losginge, flüsterte Lübke seinem Gast angeblich mit den Worten: „Equal goes it loose“ zu.

Zu schön, um wahr zu sein, möge man denken. Tatsächlich aber war dieses Zitat von einem SPIEGEL-Reporter erfunden worden und hat eine ganze Welle von Heinrich Luebke auf Briefmarke aus Berlinanderen angeblichen lustigen sprachlichen Verzurrungen nach sich gezogen, die Lübke zugeschrieben wurden. Das allermeiste davon war frei erfunden.

Wen es möglicherweise tröstet: Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl hat dem seinerzeitigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Ronald Reagan, bei einem Staatsbesuch des Amerikaners in Europa eine Duz-Freundschaft jovial mit den Worten „You can say you to me“ angeboten. In einer anderen Version war es Kohl im Kreml gegenüber Gorbatschow. In noch einer anderen Version war es George Bush. Auch hier vermutlich: zu schön, um wahr zu sein. Lübke jedoch war zu seiner Zeit mit seinen zahlreichen wirklichen Versprechern und sprachlichen Fehlleistungen beliebte Heinrich Luebke auf Briefmarke aus BrasilienSteilvorlage für Kabarettisten. Tatsächlich wurde die auch von Dieter Hildebrand mitgegründete Kabarett-TV-Show „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ aufgrund des Spotts über den Bundespräsidenten vom Bayrischen Rundfunk als Live-Show abgesetzt und fortan nur noch als Aufzeichnung ausgestrahlt.

Abgesetzt wurde Lübke zwar nicht, er verzichtete selbst aber vorzeitig auf sein Amt, nachdem Vorwürfe über seine Tätigkeiten während des Zweiten Weltkrieges aufkamen, die er seinerzeit immer bestritt und relativierte. So hatte er in seiner Zeit als Bauzeichner bei einem dem Reichsarchitekten Albert Speer zuarbeitenden Architektur- und Ingenieursbüro Baupläne für KZ-Lager entworfen. Auch war er in Funktion als Bauleiter der Heeresversuchsarbeit Peenemünde verantwortlich für die Unterbringung und den Einsatz von KZ-Häftlingen.  Man kann Lübke wegen seiner sprachlichen Inkompetenz aufgrund der Gehirnerkrankung nach dem Krieg nicht als dümmlich hinstellen. Dass er aber niemals wirklich Verantwortung für sein Handeln während der NS-Zeit übernahm, lässt ihn dann doch dumm dastehen.


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Authored by: Boris M. Hillmann

There are 4 comments for this article
  1. Reinhard Fischer at 2:25

    Etwas schade, dass hier immer noch die Geschichte von den angeblichen KZ-Bauplänen genannt wird. Tatsächlich waren diese Baupläne Fälschungen der Stasi, um den Bundespräsidenten zu diskreditieren. Man hatte wohl echte Baupläne verändert.

    Das kam nach der Wende ganz eindeutig heraus, siehe z.B. hier

    https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46185321.html

    • Karl Boettcher, Berlin at 19:20

      Guten Tag!

      Es ist doch echt prima, wenn schnöde historische Fakten – wie einst im Adenauer-Erhard-Kiesinger-Barock des glühenden Kalten Krieges – beharrlich weiterhin bestritten und geleugnet werden. Bezeichnend genug, wenn ein @Reinhard Fischer als „Beleg“ seines offensiven Leugnens der Causa Lübke den Spiegel 45/1967 (online 29.10.1967, 13.00 Uhr) anführert und sämtliche neueren Forschungsergebnisse putzmunter & absichtsvoll „ausklammert“.

      Dabei ist es doch der absolute Clou dieser Chose, dass der verlinkte Spiegel-Artikel vom Oktober 1967 die Mystifikation einer angeblichen *Stasi-Fälschung* recht sorgfältig demontiert und somit den Herrn Fischer Lügen straft. M – Aber sie versuchen es halt immer wieder, gelle!

      Und wer sich weiter erkundigen möchte über das wirkliche Ausmaß von Lübkes Verstrickungen ins NS-System und ansatzweise über die eigentlichen Machenschaften der Stasi-Agitprop, lese nach bei Jens-Christian Wagner, Der Fall Lübke. Die Zeit Nr. 30, 19.07.2007. Dieses Historikers Zeilen sind immerhin auch noch 40 Jahre jünger.

      https://www.zeit.de/2007/30/Heinrich-Luebke

    • Griebenow at 11:17

      Meine Großmutter war während des Krieges Assistentin bei Lübke. Während dieser Zeit kamen auf Lübkes Baustellen ca 5000 Zwangsarbeiter ums Leben. Meine Großmutter kam auf diese Zahl auf Basis der „Nachbestellungen“ bei Verlust (so wurde der Tod von Häftlingen genannt). Auf einer der Baustellen, zur Untertageverlegung einer Fabrikanlage, gab es Bedenken zur Bombensicherheit des Gesteins. Daraufhin ordnete Herr Lübke an, die Häftlingsbaracken direkt auf diesen Bereichen zu errichten. Des weiteren wurde die Errichtung von Baracken für weitere 800 Häftlinge angeordnet. Lübke selbst soll daraufhin gesagt haben: „Die sind hier nicht um zu pennen, sondern um zu arbeiten. Baracken für 400 reichen aus. Die eine Hälfte schläft, die andere arbeitet.“ Er soll für seine Einsparungen und schnelle Bautätigkeit auch eine Auszeichnung erhalten haben. Diese wurde in Kahla, in Thüringen, gefeiert, da die Stadt relativ unzerstört war und Bombenalarm rechtzeitig vor Eintreffen der Flugzeuge gegeben wurde. Er ist damit nicht nur Mitwisser, sondern Mittäter am Völkermord. In meiner Familie gibt es Briefe von Lübke und einem seiner leitenden Mitarbeiter, in denen sie meine Großmutter bitten, ihnen ein Leumundszeugnis für die Zeit im KZ-Außenlager zu geben. Sie hätten quasi keinen Kontakt zu den Zwangsarbeitern gehabt und kaum etwas über ihre Lebens- und Todesumstände gewusst. Wenn es doch zu Begegnungen kam, seien sie immer respektvoll und freundlich gewesen. Sie hat ihnen diese nicht gegeben. Auf die Nachfrage, warum sie ihr Wissen nicht öffentlich gemacht hat, kam die Antwort: „Die sind doch alle entnazifiziert und in Sicherheit. Aber bei mir stehen dann die Russen vor der Tür.“ Nur weil er, wie viele Tausend Andere, nicht für seine Verbrechen bestraft wurde, ist Lübke noch lange kein guter Mensch. Er ist es nicht wert, auch nur in irgendeiner Form gewürdigt zu werden.

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