Böhmische Romantik
Die Melodie aus „Die Moldau“ (tschechisch „Vlatava“) ergreift den Hörer oder die Hörerin auf bemerkenswerte Weise. Wie die eines Volksliedes, melancholisch, klagend, aber auch wie eine Liebeserklärung an jenen Fluss, der sich gerade so tänzelnd wie dramatisch erhaben durch die Landschaften bis in das anmutige Prag bewegt, wie es schon die ersten Minuten aus dem berühmten Werk des Komponisten Bed?ich Smetana ankündigen. Dieser ist neben Antonin Dvo?ák der berühmteste tschechische Komponist überhaupt.
„Romantisch“ ist sie, jene Melodei. Und wie bei manch anderem „Romantiker“ im Europa des mittleren und späten 19. Jahrhunderts löste die Vorstellung eines unabhängigen Nationalstaates jenseits absolutistischer Verhältnisse auch bei Bed?ich Smetana eben derartige Gefühle aus. „Die Moldau“ war schließlich auch eingebunden in einen „Mein Vaterland“ („Má Vlást“) benannten Zyklus. Diesen schrieb der deutschsprachig aufgewachsene, aber bald auch auf eine Belebung der tschechischen Sprache allgemein wie auch bei sich selbst bedachte Böhme zwischen 1874 und 1879.
Neben Richard Wagner war Franz Liszt eines seiner großen Vorbilder. Und nachdem der 1824 geborene Smetana, seinerseits ein sehr begabter und früh entwickelter Pianist, als junger Mann nach Prag gezogen war, verdiente er seinen Lebensunterhalt mal lukrativer, mal kärglich mit Klavier- und Musikunterricht. Ebenfalls mal mehr, mal weniger an seiner Seite war dabei seine Freundin und spätere Ehefrau Kate?ina. Die Beziehung mit der Musikerin gestaltete sich bis zu ihrem frühen Tod 1859 turbulent.
Erst mit Anstellungen im Kontext des sich herausbildenden Nationaltheaters in Prag gingen für den wiederverheirateten, in sein fünftes Lebensjahrzehnt eintretenden Smetana nicht nur mehrere Opernkompositionen, sondern auch ein stabileres Einkommen einher. Eines dieser Werke war „Die verkaufte Braut“, das noch heute als vielleicht beliebtestes tschechisches Stück Musiktheater gilt. Auch und nicht nur „Die Brandenburger in Böhmen“ und „Dalibor“ behandelten Volkstümliches und die Geschichte der bei erstgenannter Oper titelgebenden, geliebten Region.
Im letzten Jahrzehnt seines Lebens ließ Smetanas Gehör nach. Ja, er verlor es schließlich vollständig und irgendwann auch seine Lebenskräfte. Der sechsteilige sinfonische Gesang auf sein „Vaterland“, er war ein Abschiedslied. Auch dieses Jahr wird er wieder zu Beginn des Prager Musikfestivals gespielt. Die Verehrung Bed?ich Smetanas als regelrechter tschechischer Nationalkomponist setzte früh ein. Seit er am 12. Mai 1884 gestorben ist, sind 130 Jahre vergangen, und in jenem Europa, das sich damals neu konfigurierte, und seiner böhmischen und tschechischen Heimat ist so viel passiert. Immer noch fließt sie, die mythisch-mystische Moldau. Und immer noch klingt diese Melodie, die Bed?ich Smetana damals fand, als er an das überlebensgroße und sich doch mitten durch das Leben der Menschen ziehende Gewässer dachte. Er hörte sie nur noch in sich selbst, und sie kam längst von innen. Romantisch, romantisch.