Der Wegbereiter der Moderne
„Wie die Geschichte der Revolutionen, so rechnet die Geschichte der Kunst nicht mit der Zahl ihrer Opfer.“
(Henry van de Velde)
Er war ein echter Allroundkünstler: Henry van de Velde, geboren heute vor 150 Jahren in Antwerpen, hat ein ebenso vielfältiges wie umfangreiches Werk hinterlassen. Das zweitjüngste von acht Kindern wollte Maler werden, schrieb sich also, ohne jemandem etwas zu sagen, an der Kunstakademie Antwerpen ein. Im Rahmen seiner Studien erblickt er dort ein Bild von Edouard Manet, und ist so elektrisiert, dass er 1884 nach Paris aufbricht: „Ich wollte Zeuge der künstlerischen Kämpfe sein, die damals das Pariser Publikum aufpeitschten.“ In Paris setzt er seine Studien fort und vervollständigt seine Kenntnisse. Nach einem Jahr kehrt er nach Antwerpen zurück und verbringt die nächsten vier Jahre malend in dem kleinem Dorf Wechel der Zande.
Zurück in Antwerpen wendet er sich dem Impressionismus zu, gründet eine Vereinigung von Malern, er diskutiert und theoretisiert ausschweifend über die Kunst, er liest viel, darunter Nietzsche, Bakunin, Dostojeweski, Marx und Engels, jedoch erscheint ihm alles nicht genug: „…durch das ganze Durcheinander lief ein Gedanke wie ein roter Faden: die Auflehnung gegen den Egoismus der sozialen Verhältnisse am Ende des 19. Jahrhunderts, gegen die von der herrschenden Klasse heftig verteidigten Vorrechte.“ Die Malerei erscheint ihm nun unvereinbar mit solchen Wünschen, stattdessen wendet er sich der Architektur, dem Design und der angewandten Kunst zu.
Die Linie sollte nun die alles beherrschende Ausdrucksform seiner Objekte werden, ein neuer Stil, der neue Stil wird geschaffen. Für Harry Graf Kessler schafft er die berühmt gewordenen Kandelaber, für eine Avantgarde-Zeitschrift Titel-Illustrationen im Jugendstil, er stickt, gestaltet Innenausstattungen, etliche Kunstgewerbeausstellungen und Ausstellungen über die „Art nouveau“, die neue Kunst, präsentieren seine Arbeiten, van der Velde befindet sich auf einer Mission und findet wahre Schönheit in den Gegenständen, „welche in diesem Zeitalter des Maschinenwesens, der Elektrizität und der Metallbearbeitung geboren worden sind“.
Am Hof des Großherzogs von Sachsen-Weimar wird van de Velde künstlerischer Berater, er gründet die Kunstgewerbeschule Weimar, die zu einer Keimzelle des Bauhaus wird, er entwirft und baut phantastische Gebäude, Möbel, Gegenstände, sogar Kleider. Alles „ …geschieht aus Bewusstsein, aus Vernunft und Überlegung, dass wir modern sind. Wir haben eine gefährliche und entnervende Erbschaft an Überlieferung und Schmuck abzustoßen.“
Der Wegbereiter der Moderne stirbt am 25. Oktober 1957 in Zürich. Seine Heimat Belgien hat Henry van de Velde bereits zweimal mit der Ausgabe von Briefmarken gewürdigt: 1963 erschien ein Porträt vor seinem Bücherturm der Universität Gent , im Jahr 2003 gestaltete der Comic-Künstler Francois Schuiten einen Satz und im September 2013 werden vier Briefmarken mit weiteren Kunstobjekten von Henry van de Velde herausgegeben.