Marke der Woche: Herkunft, aber keine Heimat
Unsere heutige „Marke der Woche“ stammt aus Weißrussland und hat am kommenden Mittwoch, dem 30. Oktober, ihren Ersttag. Ihr Thema lautet „Israelische Staatsoberhäupter weißrussischer Herkunft“. Das klingt gut, sollte aber zum Nachdenken anregen. Denn der Eindruck, Israel sei aufgrund der Vielzahl in Belarus geborener bedeutender Staatsmänner diesem Herkunftsland besonders verbunden, trügt. Die Mehrzahl der geehrten Männer hat keineswegs freiwillig das Land ihrer Geburt verlassen. Vielmehr sahen sie sich aufgrund ihrer Lebensbedingungen gezwungen, andernorts ihr Glück zu suchen. Der 1874 geborene Chaim Weizmann stellte da noch die glückliche Ausnahme dar. Der Sohn eines Holzfällers hatte bereits in jungen Jahren die Chance, in Deutschland und der Schweiz die wissenschaftliche Laufbahn anzutreten. 1904 folgte Professor Weizmann dem Ruf der Universität Manchester und wurde 1910 britischer Staatsbürger. Sein späteres Engagement für die Errichtung eines jüdischen Staates vermochte er also aus der Sicherheit der englischen Demokratie heraus zu leisten.
Salman Schasar, Jahrgang 1889, erfuhr hingegen schon mit 18 Jahren die antijüdischen Repressionen des Zarenreiches. Nach dem Studium im Westen ging er nicht mehr in seine Heimat zurück. Die vermeintliche Liberalisierung unter den Sowjets hatte sich als lediglich neue Form der Unterdrückung und Zerstörung der jüdischen Kultur enpuppt. 1924 ging Schasar schließlich nach Palästina, wo er von der Literatur in die Politik wechselte. Menachem Begin geriet unfreiwillig zwischen alle Fronten. Während seines Studiums in Warschau der zionistischen Betar-Bewegung zugewandt, floh er nach dem deutschen Einmarsch 1939 nach Wilna, welches kurz darauf von sowjetischen Truppen besetzt wurde. Begin wurde als „imperialistischer Agent“ nach Sibirien deportiert. Erst mit seinem Eintritt in die polnische Exil-Armee gelang ihm die Flucht nach Palästina, wo er den bewaffneten Kampf fortsetzte, allerdings gegen Briten und Araber. Seine Person war derart umstritten, seine Verwicklungen in Massaker eklatant, sodass er vom israelischen Staatsgründer Ben Gurion mit Adolf Hitler verglichen wurde.
Auch Jitzchak Schamir und Schimon Peres verließen ihre Heimat in den 1930er-Jahren. Zurückbleibende Familienmitglieder kamen im Holocaust oder aufgrund antisemitischer Pogrome ums Leben. Keiner der auf den Sondermarken abgebildeten Männer dürfte also mit Sehnsucht in das Land seiner Kindheit zurückblicken. Briefmarken, das weiß der erfahrene Philatelist längst, regen zum Nachdenken an. Der Blick in die Tiefe verschafft Erkenntnis, wo Oberflächlichkeit das Auge leicht verführt.
Mittelamerika 2024 (ÜK 1.2)
ISBN: 978-3-95402-494-0
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