100. Geburtstag von Indira Gandhi
Krachende Schusssalven zerstören die farbenfrohe Idylle des blumengeschmückten Weges zum Regierungssitz. Peter Ustinov ist perplex. Er kann nicht sofort realisieren, was passiert ist. Der internationale Filmstar wartete am 31. Oktober 1984 im Büro von Indira Gandhi, um die indische Premierministerin für die BBC zu interviewen. Von zwei ihrer eigenen Leibwächter wird die damals 67-Jährige jäh aus dem Leben gerissen. Der Rest der Leibwächtergarde kann die Szene nur paralysiert beobachten und sehen, wie Gandhi schließlich schwer verletzt zusammenbricht. Ärzte versuchen vergeblich, ihr Leben zu retten.
Das Attentat
Was waren die Hintergründe dieses brutalen Attentats? Die beiden Leibwächter gehörten der Glaubensgemeinschaft der Sikhs an. Gandhi hatte sich dennoch für deren Verbleib in ihrer Garde stark gemacht, da „Indien ein säkularer Staat ist“. Sie missachtete damit Warnungen aus ihrem Umfeld, wonach sie sich von den Sikhs wegen der „Operation Blue Star“ trennen sollte. Bei dieser Militäraktion im Juni 1984 stürmten 400 Soldaten den Goldenen Tempel, das größte Heiligtum der Sikhs, dass deren Anführer Jarnail Singh Bhindranwale seit 1982 besetzte. Die separatistischen Sikhs erlitten eine entscheidende Niederlage. Die Mehrheit der indischen Bevölkerung reagierte zwar kritisch aber zustimmend auf diesen von Indira Gandhi befehligten ultimativen Schlag. Doch unter den Sikhs schürte sie fatale und für sie folgenschwere Rachegelüste.
Kindheit und Jugend
Es war dies das abrupte Ende eines wechselvollen Lebens, das am 19. November 1917 im indischen Allahabad mit der Geburt von Indira Priyadarshini Nehru begann. Sie wuchs in einer Politiker-Familie auf und so war ihr Weg früh vorgezeichnet. Ihr Vater war der brahmanische Nationalist Jawaharlal Nehru, der als Widerstandskämpfer an der Seite Mahatma Gandhis gegen die Besatzung der Briten kämpfte. Die kleine Indira wuchs – ihrer Kaste angemessen – in privilegierten Verhältnissen auf.
Aufgrund der politischen Wirren in den 1920er-Jahren und dem aufreibenden Kampf der Inder gegen die britische Kolonialmacht musste sie als Kind häufig auf die Zuwendung ihrer politisch engagierten Familienmitglieder verzichten und litt gemeinsam mit ihrem Bruder unter dem strengen Regiment der gefürchteten Tante. Selbst Hausdurchsuchungen und Verhaftungen sowohl ihres Vater, ihres Großvaters als auch ihrer Mutter musste sie hautnah miterleben. Einen weiteren bitteren Schicksalsschlag erlitt sie im Alter von 18 Jahren: Den Tod ihrer Mutter, die an den Folgen einer Tuberkuloseerkrankung verstarb, konnte sie kaum verkraften. Die junge Indira verfiel in tiefe Depressionen – womit sie zeitlebens zu kämpfen haben sollte. Zudem litt sie an chronischem Untergewicht und hatte sich ebenfalls mit Tuberkulose infiziert. Zur Genesung schickte sie ihr Vater von 1940 bis 1941 in ein Schweizer Sanatorium.
Poltik und Familie
Wer nun glaubt, die junge Frau können über diese deprimierende Kindheit Hass auf die Politik entwickelt haben, der irrt. Ganz im Gegenteil schien dies ihr politisches Bewusstsein zu stärken. Schnell zeigte sich, dass ihre freiheitliche Einstellung und der Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft in recht radikalen Ansichten münden sollten – sicher auch fußend auf den Erfahrungen, die sie als junge Frau in Europa machte. Zurück in Indien entging auch Indira Gandhi der Polizeigewalt nicht. 1942 nahm man sie wegen antibritischer Aktivitäten fest. Sicher nicht ohne Belang für diese Verhaftung war die Tatsache, dass ihr Vater Präsident der indischen Kongresspartei war und er eng mit dem Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi kooperierte. Wieder auf freiem Fuße heiratete Indira den jungen Nationalisten Shri Feroze Gandhi, der lediglich Namensvetter von Mahatma Gandhi war. Die Hochzeitsreise des jungen Paares führte nach Kaschmir und zählte zur glücklichsten Zeit in Indira Gandhis Leben. In Kaschmir lagen die Wurzeln des Nehru-Clans und später kehrte sie oft dorthin zurück, um privaten oder politischen Frieden zu finden. 1944 wurde Sohn Rajiv und 1946 ihr Sohn Sanjay geboren. Ein Jahr später verlangte Indiras Ehemann die Scheidung, wogegen sich Indira aber vehement wehrte. So lebten das Paar meist getrennt. Fast selbstverständlich engagierten auch ihre Söhne sich später in der Politik. Beide kamen jedoch tragisch ums Leben: Sanjay starb 1980 bei einem Bombenattentat und Rajiv 1991 bei einem Flugzeugabsturz.
Karrierestationen
Gandhi zog die politische Tätigkeit dem Ehestreit vor. Nach der Wahl von Jawaharlal Nehru zum Ministerpräsidenten fungierte sie als dessen Sekretärin und Beraterin. Mitte der 50er-Jahre übernahm sie den Vorsitz der Kongresspartei. Ihr Ehemann sah dies als Provokation und als das offizielle Ende der Ehe. Bis zu seinem Herzinfarkt herrschte Funkstille. 1960 starb Feroze, trotz Indiras monatelanger Fürsorge. Sein Tod und damit verbundene Vorwürfe von Sohn Sanjay lösten Schuldgefühle und Depressionen in ihr aus. Sie überlegte gar, sich aus der Politik und aus Indien zu verabschieden.
Ein weiterer Schicksalsschlag
Erst der Tod ihres Vaters im Jahr 1964 ließ sie umdenken. Sie hatte stets unter dem Gefühl gelitten, den Ansprüchen des Vaters nicht zu genügen. Nun wollte sie die wichtige Rolle annehmen, die ihr Nehru zugedacht hatte. Der neue Premierminister Lal Bahadur Shastri ernannte Gandhi zur Ministerin für Information und Rundfunk. Überraschend starb er auf einer Auslandsreise und Indira Gandhi nutzte die Gunst der Stunde für eine eigene Kandidatur. Ihre Vorteile lagen klar auf der Hand: Sie sprach fließend Hindi und Englisch, wurde von den Konfessionen des Landes akzeptiert, hatte Erfahrung auf dem politischen Parkett und wurde „als einziger Mann in einem Kabinett alter Weiber“ gefeiert. Ihr Wahlsieg im Januar 1966 überraschte also nicht. Dennoch kämpfte sie zu Beginn stets mit ihrem mangelnden Selbstbewusstsein, gewann aber nach und nach den Respekt der Bevölkerung, indem sie sich auch selbst in Krisenregionen begab und sich um die Grundversorgung der hungernden Bevölkerung kümmerte. Drei Jahre später ging dies als „Grüne Revolution“ in die indische Geschichte ein. Die Sikh-Unruhen beendete sie, indem sie den Bundesstaat Punjab zweiteilte. Weitere Beispiele dieser Art folgten und brachten ihr weltweiten Respekt ein.1971 siegte Indien im dritten indisch-pakistanischen Krieg und Bangladesch erlangte die Souveränität.
Es war der Höhepunkt Gandhis Popularität. Von 1975 bis 1977 sah sie sich von den vielen Konfliktparteien gezwungen, den nationalen Notstand auszurufen und das Land teilweise mit diktatorischen Mitteln zu regieren. Gandhi geriet zunehmend unter den Einfluss ihres Sohnes Sanjay. Resultat war die Niederlage und der Verlust ihres Amtes bei den Parlamentswahlen von 1977. 1980 gelang ihr jedoch mit der neugegründeten Partei „Indian National Congress I“ das Comeback. Die große Herausforderung der neuen Legislatur waren die radikalen Entwicklungen um die fundamentalistischen Sikh, die in Pakistan und Indien um Unabhängigkeit kämpften. Sie ließ den Aufstand militärisch niederschlagen, was ihr jedoch letzten Endes – wie eingangs geschildert – zum Verhängnis wurde.
Text: Stefan Liebig
Abbildungen: Schwaneberger Verlag
Quellen: Frank, Katherine. 2001. Indira: The Life of Indira Gandhi. Ganeri, Anita. 2003. Indira Gandhi. Wandel, Elke. 1991. Witwen und Töchter an der Macht: Politikerinnen der Dritten Welt. Wunderlich, Dieter. 2004. WageMutige Frauen: 16 Porträts. www.wikipedia.de www.chroniknet.de