Schlafe, schlaf ein

Briefmarke mit dem portrĂ€tierten Ludwig Tieck der Deutsche Bundespost Berlin von 1973. Ruhe, SĂŒĂŸliebchen, im Schatten
Der grĂŒnen dĂ€mmernden Nacht,
Es sÀuselt das Gras auf den Matten,
Es fĂ€chelt und kĂŒhlt dich der Schatten,
Und treue Liebe wacht.
Schlafe, schlaf ein,
Leiser rauschet der Hain, –
Ewig bin ich dein.

Erste Strophe des „Schlaflieds“ von Ludwig Tieck, aus: Gedichte von L. Tieck, Zweiter Theil, Dresden 1821 (Seite 52-53)

Genau wie seine Freunde bedichtete der Romantiker Ludwig Tieck die Nacht, den Mond, die Mondnacht, das Rauschen des Waldes, die Mannigfaltigkeit der Natur und die Liebe. Und doch meinte er etwas ganz anderes, grĂ¶ĂŸeres.

Die Romantiker wollten GefĂŒhl und Leidenschaft zum Ausdruck bringen und einen Gegenpol zur vorangegangenen vernunftorientierten AufklĂ€rung schaffen. Anstelle der Ratio rĂŒckten sie das Geheimnisvolle, Mystische, Unbewusste, Wunderbare in den Mittelpunkt. Dementsprechend sind Friedhöfe und alte Burgen ein hĂ€ufiger Schauplatz ihrer literarischen Werke. Die Romantiker verband ein GefĂŒhl der Sehnsucht nach Heilung der Welt, die Suche nach einer inneren Einheit. Die berĂŒhmte „Blaue Blume“ des Dichters Novalis symbolisierte diese Suche auf charakteristische Art und Weise.

Es liegt nahe, dass Dichter der Romantik eine Vorliebe fĂŒr MĂ€rchen und Sagen hatten, die sie als „Kindheit der Menschen“ betrachteten. In ihnen hofften sie, die verlorengegangene Welt zu finden. Die von Ludwig Tieck und anderen verfassten romantischen MĂ€rchen haben jedoch mit dem VolksmĂ€rchen wenig gemein. In ihren KunstmĂ€rchen ahmten die Verfasser zwar den MĂ€rchenstil nach, vermieden aber eine eindimensionale ErzĂ€hlform und vor allem das typische Schwarz-Weiß-Schema.

Als Beispiel sei Tiecks KunstmĂ€rchen „Der blonde Eckbert“ genannt, das erstmals 1797 in einer Sammlung unter dem Titel „VolksmĂ€rchen“ erschien. Der Text weist eine komplexe Handlung mit Rahmen- und BinnenerzĂ€hlung auf: Ein Kind namens Bertha flieht im Alter von acht Jahren vor ihrem Vater zu einer alten Frau in den Wald, wo es sechs Jahre lebt und sich um einen Hund und einen Vogel kĂŒmmert, der Eier mit Edelsteinen legt. Irgendwann ergreift Bertha die Sehnsucht nach der Welt der Ritter. Sie lĂ€sst den Hund zurĂŒck, tötet den Vogel, flieht mit einem GefĂ€ĂŸ voller Edelsteine und heiratet schließlich den Ritter Eckbert. Mit ihm lebt sie in der Einsamkeit des Waldes, bis sie an Gewissensbissen erkrankt. Der blonde Eckbert macht seinen Freund Walther fĂŒr die Krankheit verantwortlich. Er entwickelt einen Wahn und tötet seinen GefĂ€hrten wĂ€hrend eines Austritts. Als er nach Hause zurĂŒckkehrt, ist seine Frau tot. Der blonde Eckbert steigert sich im folgenden mehr und mehr in seinen Wahn. Schließlich erfĂ€hrt er von der Alten, bei der seiner Frau aufwuchs, dass Bertha und er Halbgeschwister waren, und stirbt. Wer in diesem MĂ€rchen nach dem Idealbild von Gut und Böse sucht, dĂŒrfte seine Schwierigkeiten haben…

DDR-Briefmarke mit Heinrich von Kleist von 1953.Der heute vor 240 Jahren geborene Ludwig Tieck war in Bezug auf sein literarisches Werk ĂŒberaus produktiv. Er studierte ab 1792 Geschichte, Philologie und alte und neue Literatur mit dem Ziel vor Augen, freier Schriftsteller zu werden. 1794 brach er das Studium jedoch ab, ebenso wie ein spĂ€ter begonnenes Jurastudium. Erste Dichtungen verfasste er bereits vor Studienbeginn, seine ersten ErzĂ€hlungen und Romane erschienen 1795. Mit dem 1798 veröffentlichten KĂŒnstlerroman „Franz Sternbalds Wanderungen“ schuf er ein fĂŒr die Romantik wegweisendes Werk. In spĂ€teren Jahren machte er sich einen Namen als Herausgeber. So zeichnete er unter anderem verantwortlich fĂŒr die Herausgabe und Vollendung der von August Wilhelm Schlegel begonnenen Shakespeare-Übertragung. Nach dem Freitod von Heinrich von Kleist gab er 1821 die Schriften heraus, die dieser hinterlassen hatte, 1826 dessen Gesammelte Werke. 1827 folgte „Die Insel Felsenburg“ von Johann Gottfried Schnabel.

Briefmarke mit Johann Wolfgang von Goethe von 1999, MiNr. 2073.Ludwig Tieck starb am 28. April 1853 in Berlin. Er hinterließ ein literarisches Werk, dass viel Lob von allen Seiten erfuhr. Goethe selbst sagte ĂŒber ihn: „Tieck ist ein Talent von hoher Bedeutung, und es kann seine außerordentlichen Verdienste niemand besser erkennen als ich selber; allein wenn man ihn ĂŒber ihn selbst erheben und mir gleichstellen will, so ist man im Irrtum“ (1824 zu seinem Vertrauten Johann Peter Eckermann).


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Authored by: Tanja Uhde

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