Schlafe, schlaf ein
Ruhe, Süßliebchen, im Schatten
Der grünen dämmernden Nacht,
Es säuselt das Gras auf den Matten,
Es fächelt und kühlt dich der Schatten,
Und treue Liebe wacht.
Schlafe, schlaf ein,
Leiser rauschet der Hain, –
Ewig bin ich dein.
Erste Strophe des „Schlaflieds“ von Ludwig Tieck, aus: Gedichte von L. Tieck, Zweiter Theil, Dresden 1821 (Seite 52-53)
Genau wie seine Freunde bedichtete der Romantiker Ludwig Tieck die Nacht, den Mond, die Mondnacht, das Rauschen des Waldes, die Mannigfaltigkeit der Natur und die Liebe. Und doch meinte er etwas ganz anderes, größeres.
Die Romantiker wollten Gefühl und Leidenschaft zum Ausdruck bringen und einen Gegenpol zur vorangegangenen vernunftorientierten Aufklärung schaffen. Anstelle der Ratio rückten sie das Geheimnisvolle, Mystische, Unbewusste, Wunderbare in den Mittelpunkt. Dementsprechend sind Friedhöfe und alte Burgen ein häufiger Schauplatz ihrer literarischen Werke. Die Romantiker verband ein Gefühl der Sehnsucht nach Heilung der Welt, die Suche nach einer inneren Einheit. Die berühmte „Blaue Blume“ des Dichters Novalis symbolisierte diese Suche auf charakteristische Art und Weise.
Es liegt nahe, dass Dichter der Romantik eine Vorliebe für Märchen und Sagen hatten, die sie als „Kindheit der Menschen“ betrachteten. In ihnen hofften sie, die verlorengegangene Welt zu finden. Die von Ludwig Tieck und anderen verfassten romantischen Märchen haben jedoch mit dem Volksmärchen wenig gemein. In ihren Kunstmärchen ahmten die Verfasser zwar den Märchenstil nach, vermieden aber eine eindimensionale Erzählform und vor allem das typische Schwarz-Weiß-Schema.
Als Beispiel sei Tiecks Kunstmärchen „Der blonde Eckbert“ genannt, das erstmals 1797 in einer Sammlung unter dem Titel „Volksmärchen“ erschien. Der Text weist eine komplexe Handlung mit Rahmen- und Binnenerzählung auf: Ein Kind namens Bertha flieht im Alter von acht Jahren vor ihrem Vater zu einer alten Frau in den Wald, wo es sechs Jahre lebt und sich um einen Hund und einen Vogel kümmert, der Eier mit Edelsteinen legt. Irgendwann ergreift Bertha die Sehnsucht nach der Welt der Ritter. Sie lässt den Hund zurück, tötet den Vogel, flieht mit einem Gefäß voller Edelsteine und heiratet schließlich den Ritter Eckbert. Mit ihm lebt sie in der Einsamkeit des Waldes, bis sie an Gewissensbissen erkrankt. Der blonde Eckbert macht seinen Freund Walther für die Krankheit verantwortlich. Er entwickelt einen Wahn und tötet seinen Gefährten während eines Austritts. Als er nach Hause zurückkehrt, ist seine Frau tot. Der blonde Eckbert steigert sich im folgenden mehr und mehr in seinen Wahn. Schließlich erfährt er von der Alten, bei der seiner Frau aufwuchs, dass Bertha und er Halbgeschwister waren, und stirbt. Wer in diesem Märchen nach dem Idealbild von Gut und Böse sucht, dürfte seine Schwierigkeiten haben…
Der heute vor 240 Jahren geborene Ludwig Tieck war in Bezug auf sein literarisches Werk überaus produktiv. Er studierte ab 1792 Geschichte, Philologie und alte und neue Literatur mit dem Ziel vor Augen, freier Schriftsteller zu werden. 1794 brach er das Studium jedoch ab, ebenso wie ein später begonnenes Jurastudium. Erste Dichtungen verfasste er bereits vor Studienbeginn, seine ersten Erzählungen und Romane erschienen 1795. Mit dem 1798 veröffentlichten Künstlerroman „Franz Sternbalds Wanderungen“ schuf er ein für die Romantik wegweisendes Werk. In späteren Jahren machte er sich einen Namen als Herausgeber. So zeichnete er unter anderem verantwortlich für die Herausgabe und Vollendung der von August Wilhelm Schlegel begonnenen Shakespeare-Übertragung. Nach dem Freitod von Heinrich von Kleist gab er 1821 die Schriften heraus, die dieser hinterlassen hatte, 1826 dessen Gesammelte Werke. 1827 folgte „Die Insel Felsenburg“ von Johann Gottfried Schnabel.
Ludwig Tieck starb am 28. April 1853 in Berlin. Er hinterließ ein literarisches Werk, dass viel Lob von allen Seiten erfuhr. Goethe selbst sagte über ihn: „Tieck ist ein Talent von hoher Bedeutung, und es kann seine außerordentlichen Verdienste niemand besser erkennen als ich selber; allein wenn man ihn über ihn selbst erheben und mir gleichstellen will, so ist man im Irrtum“ (1824 zu seinem Vertrauten Johann Peter Eckermann).
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