Sozialkritischer Lebemann

Zum 100. Todestag porträtierte Frankreich den großen Schriftsteller, MiNr. 2948.

Zum 100. Todestag porträtierte Frankreich den großen Schriftsteller, MiNr. 2948.

„Un baiser légal ne vaut jamais un baiser volé“ – ein erlaubter Kuss ist niemals so viel wert wie ein gestohlener: Den Satz finden wir in Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, aber auch in der Literatur in zahlreichen Varianten. Zweifellos schufen frühere Autoren ähnliche Definitionen. Zum geflügelten Wort wurde der Satz, als die Erzählung „Confessions d’une femme“ – Beichte einer Frau – erschien, 1899 im Band „La père Milon“ – Vater Milon. Das Buch kam postum in den Handel, sechs Jahre nach dem Ableben seines zuletzt geistig verwirrten Autors.
Henry René Albert Guy de Maupassant, geboren am 5. August 1850, verstorben am 6. Juli 1893, zählt gemeinsam mit Honoré de Balzac, Gustave Flaubert, Stendhal (Marie-Henri Beyle) und Émile Zola zu den wichtigsten französischen Erzählern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er stand dem Naturalismus nahe, verarbeitete in seinem Werk aber auch Elemente anderer Stilrichtungen. Höchst produktiv, verfasste er rund 300 Novellen, sechs Romane – hinzu kommt ein postum veröffentlichtes Fragment – sowie zahlreiche Reisereportagen. Wie zahlreiche Freunde im Kreis um Flaubert und Zola betätigte er sich zudem journalistisch und legte sozial- und regierungskritische Artikel vor. Diese gerieten allerdings weitgehend in Vergessenheit, da sie vor allem zeitgeschichtliche Themen behandelten. Geblieben ist sein Einsatz gegen den Bau des Eiffelturms, ein Beleg dafür, dass auch große Geister mitunter eher kleinlich agieren.
Sein Talent stellte er bereits als Schüler unter Beweis. Nach der Veröffentlichung eines Gedichtes musste er denn auch mit 17 die Schule wechseln. Der literarische Durchbruch gelang ihm aber erst 13 später mit der Novelle „Boule de suif“ – Fettklößchen. Sie erschien in einem Sammelband antimilitaristischer Erzählungen. Maupassant arbeitete darin unter anderem seine Erfahrungen in der Armee während des preußisch-französischen Krieges 1870/71 auf. Allerdings hatte er nur in der Etappe gedient; die Kriegsgräuel blieben ihm erspart. 1872 aus dem Militär entlassen, führte er ein eher unstetes Leben. Geld verdiente er als Angestellter im Marineministerium, später im Bildungsministerium. Vor allem aber beschäftigten ihn unzählige Liebschaften. 1875 legte er den ersten Erzählband vor, dem 1876 zwei weitere folgten. Daneben versuchte er sich in Lyrik und Dramatik mit weniger überzeugenden Ergebnissen. Nach dem Erfolg von „Boule de suif“ gab er das Angestelltendasein auf, um sich ganz der Literatur zu widmen.
In schneller Folge erschienen fortan Erzählbände, die guten Anklang fanden. Maupassant verdiente gut und leistete sich bereits 1883 ein Haus in Étretat, einem Seebad in der Normandie, aus der er stammte. 1885 legte er den Roman „Bel-Ami“ vor, der ihm zu Weltruhm verhelfen sollte. Zweifellos verarbeitete der Lebemann darin eigene Erfahrungen, die das Publikum wohl mehr interessierten als die sozialkritische Komponente des Werkes, dessen Held man kaum zu den sympathischen Figuren rechnen kann. Mit an Sarkasmus grenzender Ironie distanzierte sich Maupassant von Georges Duroy, ohne aber seine Bewunderung verhehlen zu können.
Weniger bekannt, literarisch vielleicht etwas höher anzusiedeln ist „Une Vie“ – ein Leben – von 1883, in dem Maupassant den sozialen Abstieg einer Adeligen schildert. Auch der Roman hat einen autobiographischen Hintergrund, zählte Maupassants Familie doch zum jungen Adel. Der Vater aber verprasste den Wohlstand und musste sein Leben als Bankangestellter fristen. Als sich die Mutter von ihm trennte, war Guy de Maupassant neun Jahre alt. Bedeutender als die Romane sind aber zweifellos die Erzählungen Maupassants. Viele Werke wurden verfilmt. Hans Fritz Beckmann und Theo Mackeben widmeten „Bel-Ami“ einen auch heute noch oftmals interpretierten Schlager.
Mit zunehmendem Alter wurden seine Werke düsterer. Literaturhistoriker führen dies zum einen auf die Syphilis-Erkrankung zurück, die er sich 1877 zugezogen hatte. Symptome wie Schlaflosigkeit, Angstzustände, Halluzinationen und Sehstörungen lassen sich aber auch mit seinem erheblichen Drogenkonsum erklären, den er spätestens in den achtziger Jahren pflegte. 1892 kam er nach einem Suizidversuch in eine psychiatrische Klinik, die er nicht mehr verlassen sollte.

Authored by: Torsten Berndt

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