Die Zürcher Reformation
In der zweiten Hälfte seines Lebens begann der Priester Ulrich Zwingli, die Praxis der Kirche öffentlich zu kritisieren. Mit theologischen Abhandlungen, Predigten und kirchenpolitischem Aktivismus wandte er sich gegen bedeutende Elemente etablierter christlicher Tradition seiner Gegenwart und formulierte eine davon abweichende Glaubens- und Kirchenlehre. Dabei wurde der am 1. Januar 1484 geborene Schweizer zum Begründer der Reformierten Kirchen, die sich schließlich als evangelisch-protestantische Kirchen konfessionell vom Katholizismus abgrenzten.
Vor allem forderte Zwingli, dass sich kirchliche Praxis und christlicher Glaube wesentlich und unmittelbarer auf die Bibel, auf das „Wort“ oder die „Schrift“, beziehen sollten. Kirchlich eingerichtete, autorisierte und durchgeführte Hierarchien, Riten und Bräuche stellten für ihn angesichts einer allumfassenden Souveränität und Wirkung Gottes sowie einer Alleinstellung des Evangeliums als Glaubens- und Orientierungsquelle unbegründete Abweichungen dar. Dabei lehnte Zwingli beispielsweise bislang übliche Formen von Heiligenverehrung und des Fastens sowie Klöster ab. Stattdessen insistierte er auf schrift- und predigtorientierte Gottesdienste und eine Abschaffung des Zölibates. Sein Anliegen einer Übersetzung der Bibel in deutsche Sprache wurde 1529 mit der „Zürcher Bibel“ umgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war Zwingli selbst schon fünf Jahre lang verheiratet.
Kultureller Hintergrund für Zwinglis kritische Auseinandersetzung mit der Kirche, ihrer Glaubenslehre und allgemeiner Glaubenspraxis war nicht zuletzt zeitgenössisches humanistisches Denken. Speziell Erasmus von Rotterdam beeinflusste Zwingli mit seinen in den klassischen Sprachen geschulten auslegenden Schriften zur Bibel und seinen von dort aus argumentierenden kirchenkritischen Äußerungen. Anders als die meisten Menschen, war Zwingli als Sohn eines wohlhabenden, lokalpolitisch einflussreichen Bauern, in dessen Verwandtschaft es mehrere Geistliche gab, bereits in der Position, die Bibel autonomer lesen und reflektieren zu können. Als Junge hatte Zwingli eine Lateinschule besucht, und danach hatte er in Wien und Basel studiert. Auch kirchliche und politische Strukturen und Vorgänge waren ihm aus eigener Anschauung bekannt. Bevor sich seine reformatorischen Aktivitäten intensivierten, war Zwingli seit 1506 bereits in unterschiedlichen Positionen Geistlicher in den Orten Glarus und Maria Einsiedeln gewesen.
Als das zweite Jahrzehnt des neuen, sechzehnten Jahrhunderts zu Ende ging, begann Zwinglis theologische Opposition, in Zürich offizielle und entscheidende Folgen zu zeigen. Besonders in Zusammenhang mit zwei Streitgesprächen, öffentlichen Disputationen, die Zwingli erfolgreich mit kirchlichen Autoritäten führte, erklärte der Rat der Stadt Übereinstimmung mit seinen in den „67 Artikeln“ formulierten Ansichten. Zwingli hatte in Zürich 1518 die Position eines Leutpriesters eingenommen. Obwohl es diesbezüglich Bemühungen gab, kam Zwingli mit dem anderen großen religiösen Neuerer seiner Gegenwart, Martin Luther, trotz grundsätzlich ähnlicher theologischer und kirchenkritischer Ausrichtung nicht überein. Vor allem unterschieden sich die beiden in ihrer genauen Auffassung des Abendmahles. Anders als Luther verstand Zwingli Brot und Wein im Abendmahl lediglich als Zeichen, die auf Christi Leib und Blut deuteten und lehnte die Vorstellung von dessen „leiblicher Realpräsenz“ völlig ab.
Noch zu Zwinglis Lebzeiten kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den im Prozess konfessioneller Spaltung befindlichen Schweizer Christen verschiedener Kantone. Während einer Schlacht im Zweiten Kappelerkrieg starb auf Seite der Stadt Zürich dabei auch Zwingli selbst. Unmittelbar nach seinem Tod am 11. Oktober 1531 trugen in der Schweiz und mit darüberhinaus reichender Wirkung vor allem der Züricher Heinrich Bullinger und Johannes Calvin zur weiteren Entwicklung Reformierten Glaubens bei.