Dichter zwischen den Welten
Er fuhr stets mehrgleisig, war hin- und hergerissen: Franz Grillparzer, geboren am 15. Januar 1791 in Wien, studierte Jura, wie es sein früh verstorbener Vater, ein mit andauernden Schulden ringender Rechtsanwalt, getan hatte. Und während er, vor allem fasziniert von Dichtung und Sprachen, danach weiter an seinen ersten Stücken feilte, arbeitete der zwar beinahe ein Leben lang verlobte, jedoch unverheiratet gebliebene Dramatiker, Poet und Erzähler gleichzeitig im Finanzwesen. Ja, der trotz seiner fortbestehenden Bindung zur Beinahe-Ehefrau Katharina Fröhlich immer wieder von anderen jungen Damen ergriffene, berühmte Verfasser von „Die Jüdin von Toledo“ (Das Theaterstück adaptierte Grillparzer frei nach Lope de Vega, auch Lion Feuchtwanger widmete dem Stoff einen Roman), „Das goldene Vließ“ oder „Der arme Spielmann“ ließ seinen bürokratischen Beruf nie hinter sich.
Und obwohl diese einerseits mehrere seiner Werke zensieren ließen, war er andererseits doch ein von den höchsten Rängen der kaiserlichen Monarchie geschätzter Autor, speziell von Theaterstücken für das Wiener „Hofburgtheater“. Die Fassade des neuen „Burgtheaters“ ziert heute eine Büste des hochverehrten österreichischen „Nationaldichters“, der seinerseits sowohl mit den freiheitlich-demokratischen Tendenzen seiner Gegenwart sympathisierte als auch am Kaiserreich hing und die Restauration begrüßte. Denn einer Revolution und ihren unsicheren Folgen einer Aufsplitterung der multilingualen und- kulturellen österreichischen Monarchie in eventuelle, konkurrierende Nationalbewegungen und- staaten traute Franz Grillparzer nicht. Soll heißen: Der verbeamtete Dichter wandelte zwischen den Welten und konnte sich zeitlebens nur schwer entscheiden.
Günstigerweise hielt ein im Wiener Theater beschäftigter Dramaturg die literarischen Betätigungen des noch vor seinem 30. Geburtstag stehenden Grillparzers – den Namen mochte er übrigens nicht – für vielversprechend. Ein Bruder der musikliebenden Mutter des Autors, die sich tragischerweise das Leben nahm, hatte jenen Posten zuvor bekleidet. Es gab also auch in dieser, in der künstlerischen Sphäre einen bereits familiär angelegten Anknüpfungspunkt. Und von musikalischen Werken inspirieren ließ sich auch der schreibende Sohn Anna Franziska Grillparzers, geborene Sonnleithner. Einmal kam es sogar fast zu einer Kooperation mit Ludwig van Beethoven. Grillparzers Libretto für eine eventuelle Komposition des Meisters war fortgeschritten, aber dieser entschied sich gegen eine gemeinsame Oper.
Beim ersten, erfolgreich in der Wiener Heimat aufgeführten Theaterstück Grillparzers handelte es sich um „Die Ahnfrau“. Und sein Zweitwerk trug den Titel „Sappho“. In beiden kommen seine Faszination und der fortwährende Bezug auf Vorlagen aus alten Volksdichtungen bzw. sein Rückgriff auf antike Stoffe zum Ausdruck. Mit diesen Quellen war Grillparzer schon als lesewütiger Knabe in Berührung gekommen und hatte seine Phantasie von mythologischen, sagenhaften und abenteuerlichen Geschichten beflügeln lassen.
Franz Grillparzer wurde 81 Jahre alt. Zum Zeitpunkt seines Todes am 21. Januar 1872 war er Mitglied im hohen „Herrenhaus“ des österreichischen Parlaments. Der innerlich nie im Reinen mit seiner Umwelt und sich selbst Stehende war ein arrivierter Mann: Als pensionierter Archivdirektor im Finanzministerium und als geachteter, mit Ehrenbürger und -doktorweihen versehener Künstler. Schon 1890 gründete sich die bis heute um sein Werk und Andenken bemühte „Grillparzer Gesellschaft“, und bereits seit 1872 wurde von der „Österreichischen Akademie der Wissenschaften“ knapp 100 Jahre lang der „Franz Grillparzer-Preis“ für literarische Werke verliehen.