Briefmarke des Monats: Gedeon Richter, Pionier der Pharmazie

Briefmarke des Monats: Gedeon Richter, Pionier der Pharmazie

Im Zentrum der ungarischen Hauptstadt Budapest, inmitten der Donau liegt die knapp einen Quadratkilometer große Margareteninsel. Eine bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebte autofreie, grüne Oase. Rund 500 Meter südöstlich der Insel, am Antall József Kai, stehen ungeordnet 60 Paar Schuhe. Ein stilles Mahnmal, das auf den ersten Blick nicht verrät, an welch schreckliches Ereignis es erinnert.

Hier ermordeten die Pfeilkreuzer, Anhänger einer faschistischen und antisemitischen Partei in Ungarn, die nach dem Abzug der Deutschen, im Oktober 1944, die Macht übernommen hatten, mehrere Tausend Juden. Die Menschen mussten sich am Donauufer aufstellen, entkleiden und die Schuhe ausziehen, bevor sie getötet wurden. Die genaue Zahl der Opfer kann nur geschätzt werden. Der ungarische Historiker Krisztián Ungváry geht von 2600 bis 3600 Juden aus, die am Ufer erschossen und dann in die Donau geworfen wurden.

Fiebersenkende Medikamente

Einer von ihnen war am 30. Dezember 1944 der 72-jährige Apotheker Gedeon Richter (1872 – 1944). Er hatte an Universitäten in Cluj-Napoca im heutigen Rumänien sowie in Budapest studiert und erhielt 1895 sein Apotheker-Diplom. Im Anschluss eignete er sich in mehreren europäischen Apotheken und Pharmaunternehmen Kenntnisse und Methoden der Arzneimittelherstellung an. 1901 erwarb er eine Apotheke in Budapest und erhielt die Genehmigung zur Herstellung von Medikamenten. Mit der Gründung des Labors seiner Apotheke legte Richter nicht nur den Grundstein für sein Unternehmen, sondern auch für die gesamte pharmazeutische Industrie in Ungarn. Zunächst konzentrierte er sich auf die Weiterentwicklung von Naturheilverfahren. Unterstützt wurde er bei seinen unternehmerischen Bemühungen von seinem Schwiegervater, einem Holzfabrikanten.

1907 ließ Gedeon Richter im Budapester Stadtbezirk Kőbánya die erste pharmazeutische Fabrik Ungarns, errichten und übernahm deren Geschäftsführung. Das Unternehmen hatte seine ersten großen Erfolge mit einem Acetylsalicylsäure-Derivat, einem schmerzstillenden, entzündungshemmenden und fiebersenkenden Arzneistoff und einem Desinfektionsmittel in Tablettenform. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs verfügte der Betrieb laut einem Pressetext der ungarischen Post bereits über knapp 100 Arzneimittel und 24 Patente für Arzneimittel.

Expertise und Innovation

Im Jahr 1923 wurde die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und firmierte fortan als „Gedeon Richter Chemical Works“. Der Erfolg des Unternehmens beruhte auf seiner herausragenden Expertise und einem großen Innovationsstreben in der Forschung und Entwicklung. So gehörte die Fabrik zu den ersten Betrieben in Europa, die Insulin produzierten. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs verfügte die Fabrik über zehn Niederlassungen und ein Netz von Vertretern auf fünf Kontinenten.

Zwischen 1938 und 1942 verabschiedete die ungarische Regierung mehrere antijüdische Gesetze. Das erste Gesetz von 1938 beschränkte den Beschäftigungsanteil der jüdischen Bevölkerung im Medizinbereich auf maximal 20 Prozent. Nach den antijüdischen Gesetzen verlor Gedeon Richter 1942 seine Position als Geschäftsführer und wurde aus seiner Fabrik verbannt. Mit Hilfe vertrauter Mitarbeiter gelang es ihm jedoch, das Unternehmen illegal aus seinem Privathaus zu leiten. Im Herbst 1944 kam die Produktion fast vollständig zum Erliegen. Richter hatte die Möglichkeit, in die Schweiz zu emigrieren, weigerte sich aber seinen Betrieb aufzugeben. Im Dezember 1944 wurde er, wie viele seiner jüdischen Landsleute, am Donauufer erschossen.

Der ungarischen Post, Magyar Posta, ist es zu verdanken, dass die Erinnerung an Richters Leben und seine pharmazeutischen Leistungen erhalten bleibt. Anlässlich seines 150. Geburtstags verewigte sie den Arzneimittelforscher auf einer 630-Forint-Sondermarke. Die Marke zeigt ein Porträt und die Unterschrift des Pharma-Pioniers. Sie erscheint in einer Auflage von 50000 Exemplaren und wird seit dem 1. Juli ausgegeben. Im Hintergrund ist das ehemalige Fabrikgebäude in der Budapester Cserkesz-Straße zu erkennen.

Serie im gedruckten BMS

Die „Briefmarke des Monats“ ist eine Beitragsreihe in der Printausgabe des BRIEFMARKEN SPIEGEL, die wir auch online präsentieren. Jeden Monat stellen wir eine neue Briefmarke oder einen neuen Block vor. Die aktuelle Neuausgabe wurde in der Ausgabe 8/2022 vorgestellt, die seit 29. Juli 2022 im Handel erworben werden kann. Abonnenten erhalten das aktuelle Heft immer ein paar Tage vor dem Erstverkaufstag direkt in den Briefkasten und sparen dabei noch Geld.


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Authored by: Kai Böhne

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