Talentierter Krawallbruder
„Mad, bad and dangerous to know“, so umschrieb Mrs. Caroline Lamb den britischen Dichter Lord Byron, der heute vor 225 Jahren das Licht der Welt erblickte. Die verlassene Geliebte sprach mit dieser Einschätzung sicherlich mancher Leidensgenossin aus dem Herzen, denn so sehr der junge Lord die Frauen liebte und begehrte, so viele gebrochene Herzen hinterließ er auf seinen Wegen. So wie seine Helden ihre Größe oft erst im Scheitern erreichten, so war der Schöpfer dieser Figuren wahrlich besessen davon, „nicht dazu zu gehören“. Inwiefern eine solche Haltung einer partnerschaftlichen Beziehung im Wege stehen muss, braucht nicht erörtert zu werden. Doch muss man fairerweise gestehen, dass er es nicht leicht hatte. Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch das Kindermädchen sowie einen benachbarten Landadeligen deuten darauf hin, dass sein Moralempfinden bereits in frühester Jugend einigen Schaden erlitten hatte. Entsprechend gebärdete sich der Heranwachsende. Gleichzeitig war es für den britischen Adeligen der Zeit durchaus standesgemäß, rücksichtslos seine Affären auszuleben. In der Literaturwissenschaft finden sich jedoch auch zahlreiche Meinungen, die von einer bisexuellen Neigung ausgehen, die der Lord durch umso heftigeres „womanizing“ zu überspielen suchte.
Doch Lord Byron erschuf aus seinen persönlichen Verwirrungen eine Fantasie-Persona, die er gleichsam als „alter ego“ fortan darzustellen versuchte. Er war der düstere, melancholische Einzelgänger. Seine Abscheu, den Menschen seiner Umgebung gleich zu sein, trieb dabei die skurrilsten Blüten. Als ihm in der Universität die Haltung eines Hundes versagt wurde, tauchte er am nächsten Tag mit einem zahmen Bären auf. War er zu einem gesellschaftlichen Abend mit Diner geladen, zog er es vor, nichts zu essen, beim zwanglosen Umtrunk hingegen brachte er seine Gastgeber mit exotischen kulinarischen Wünschen zur Verzweiflung. 1808 ins House of Lords aufgenommen, machte er kein Geheimnis aus seinen Sympathien für Napoleon Bonaparte, Kriegsgegner des Empires und Staatsfeind Nummer Eins. Geriet er in den Ruf, ein hemmungsloser Trinker zu sein, konterte er mit monatelanger Abstinenz, unterm Strich überwogen allerdings die Ausschweifungen. In einer dichterischen Bearbeitung des Russisch-Türkischen Krieges riet er darüber hinaus der Zarin und dem Sultan, sie sollten ihren Konflikt doch besser gemeinsam zwischen den Kissen austragen, der ganze Militarismus basiere doch auf der Kompensation frustrierter sexueller Bedürfnisse. Auch diese These fand kontroversen Widerhall im britischen Adel…
Dieser verzweifelte junge Mann traf jedoch bereits in jungen Jahren den Nerv der Zeit. Seine mysteriösen, romantischen Geschichten machten seine Werke und seine Inszenierung äußerst populär. Eine gewisse „Byron-Mania“ machte sich breit. Auch wenn seine Verleger im Laufe der Jahre immer wieder zu Haftstrafen verurteilt werden sollten – wegen der Veröffentlichung von Gottlosigkeit, Verspottung des Königshauses oder Verstoß gegen die guten Sitten – blieb kein Werk unveröffentlicht. Erst eine Affäre mit seiner Halbschwester, aus der ein Kind entsprang, ließ die Stimmung gefährlich kippen. Eine Flucht in die Seriosität, eine Heirat mit der Aristokratin Anna Milbanke, scheiterte kurz nach der Geburt der Tochter Ada, die heute noch einen Namen als Computerpionierin genießt. Byron entwickelte in seiner kurzen Ehe äußerst aggressive Züge und war nach der Trennung das Leben in der britischen High Society satt. So verließ er 1816 England und ließ sich am Genfer See nieder. Sehr willkommen war ihm dort der Besuch einer Gruppe Freigeister, die aufgrund ihrer libertinären Geisteshaltung in den Fokus der Behörden geraten waren: Percy Shelley, bekennender Atheist und geistiger Sozialrevolutionär, und Mary Godwin, Tochter der großen Frauenrechtlerin Wollstonecraft und des Anarchisten Godwin. Beide mussten aus England fliehen und schienen die perfekte Gesellschaft für Lord Byron. Marys Stiefschwester Claire Clairmont war dem Lord hingegen noch viel mehr willkommen, wenn er ihrer auch bald überdrüssig wurde, kaum dass sie von ihm schwanger war. Ihr gebrochenes Herz und der frühe Tod des Kindes ließen sie bis ins hohe Alter in tiefem Hass auf Byron verharren.
Diesen zog es jedoch bald in neue Abenteuer. So verbrachte er turbulente und überaus produktive Zeiten in Venedig. Seine Briefe und Tagebücher dieser Zeit erinnern allerdings deutlich an die Schriften Giacomo Casanovas… Erst die Affäre mit der verheirateten Gräfen Teresa Guiccioli brachte eine gewisse Konstanz in sein Leben. Gemeinsam mit ihr unterstütze er den antihabsburgischen Geheimbund der Carbonari. Gemeinsam wurden sie nach Auffliegen ihrer Pläne nach Pisa verbannt. 1823 ließ sich Byron schließlich überreden, das Kommando einer Truppe Freischärler zu übernehmen, die in Griechenland für die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich kämpfen wollten. Der Philhellenismus war eine europaweite Bewegung, die sich auf die kulturellen Leistungen des antiken Griechenlands beriefen. Byron investierte sogar nicht unerhebliche Summen für Waffen und Nachschub. Doch sein romantischer Geist sollte tief enttäuscht werden, stellte sich der „Feldzug“ als unkoordiniertes, mutloses Debattieren und Warten heraus. Die Freiheit Griechenlands sollte er nicht erleben. Byron verstarb im Frühjahr 1824 an einem Fieber.