Er war kein Märchenonkel

Er war kein Märchenonkel


Gewiss, Jacob und Wilhelm begannen das Projekt der Kinder- und Hausmärchen gemeinsam. Anfangs war es sogar Jacob Grimm, der die Forschungen mit besonderem Eifer vorantrieb. Die Brüder ließen sich Märchen erzählen und schrieben sie nieder. Unterstützt wurden sie dabei von den Märchenbeiträgern, die genaue Anweisungen erhielten, wie sie diese Arbeit zu verrichten hatten. So schrieb Jacob Grimm 1811: „Dieses alles nun wünschen wir höchst getreu, buchstabentreu aufgezeichnet, mit allem dem sogenannten Unsinn, welcher leicht zu finden, immer aber noch leichter zu lösen ist, als die künstlichste Wiederherstellung, die man statt seiner versuchen sollte.“
Briefmarke aus Deutschland von 2012, 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen
In dieser oralen Fassung wurden die zusammengetragenen Geschichten aber nicht veröffentlicht. Die Brüder wählten sorgfältig aus, entschieden sich gegen Obszönes und glätteten hier und da. 1812 kam schließlich die erste Fassung der Kinder- und Hausmärchen auf den Markt. Diese erste Ausgabe stieß auf wenig Begeisterung. Vielmehr bezeichneten Zeitgenossen die Grimmschen Märchen als nicht kindgerecht und bemängelten ihren teils holprigen Sprachstil. Wilhelm Grimm nahm diese Kritik an und unterzog die Texte einer erneuten Bearbeitung.
Jacob Grimm hingegen betrachtete die Kinder- und Hausmärchen nach wie vor als ein wissenschaftliches Projekt, dessen oberstes Ziel es sein sollte, den Ton des Volksmärchens möglichst getreu wiederzugeben. Er zog sich zusehends von der Arbeit an dem Werk zurück und überließ seinem Bruder das Feld, der den Märchen den Ton verpasste, der sie zu dem machte, was sie heute sind: Vorlese-Geschichten für Kinder. Jacob Grimm war folglich ein Märchenforscher, der sein Werk mit wissenschaftlichem Ehrgeiz betrieb; er war mitnichten ein Märchenonkel.

Briefmarke DDR von 1975, Deutsches Wörterbuch

Die Brüder Grimm arbeiteten zusammen, und sie gingen zugleich ihre eigenen Wege. Insgesamt 700 Veröffentlichungen gehen auf sie zurück, doch nur 20 Titel publizierten sie gemeinsam. Dass sie meist in einem Atemzug genannt werden, liegt wohl auch daran, dass sie am erfolgreichsten waren, wenn sie sich gemeinsam ans Werk machten. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Deutsche Wörterbuch, mit dessen Ausarbeitung sie 1838 begannen.

„Der Grimm“, wie das Werk auch genannt wird, wurde zum größten und umfassendsten Wörterbuch der deutschen Sprache seit dem 16. Jahrhundert und erst 123 Jahre nach dem Tod der Brüder abgeschlossen. Jacob Grimm erledigte die Bearbeitung der Buchstaben A bis E. Er starb heute vor 150 Jahren, als er den Artikel „Frucht“ verfasste. Er war ein herausragender Wissenschaftler, ein Ausnahmetalent, und er bewies den Mut, sich gegen politisches Unrecht zur Wehr zu setzten.


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Authored by: Tanja Uhde

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