Chemiker macht physikalische Entdeckung

Die Deutsche Bundespost prÀsentierte das Prinzip der Kernspaltung 1979 auf der Gedenkmarke zu Ehren Otto Hahns, MiNr. 1020.

Die Deutsche Bundespost prÀsentierte das Prinzip der Kernspaltung 1979 auf der Gedenkmarke zu Ehren Otto Hahns, MiNr. 1020.

„Es wĂ€re denkbar, daß bei der Beschießung schwerer Kerne mit Neutronen diese Kerne in mehrere grĂ¶ĂŸere BruchstĂŒcke zerfallen, die zwar Isotope bekannter Elemente, aber nicht Nachbarn der bestrahlten Elemente sind.“
Ida Eva Noddack zĂ€hlte zu den ersten Frauen in Deutschland, die Chemie studierten und ihre Ausbildung mit der Promotion abschlossen. Gemeinsam mit ihrem Mann Walter Noddack und dem Röntgenologen Walter Berg entdeckte sie 1925 die Elemente der Ordnungszahlen 43 und 75. WĂ€hrend das Rhenium Anerkennung fand, scheiterten anderswo alle Versuche, den Nachweis des Elementes Nummer 43, von den Dreien „Masurium“ genannt, zu reproduzieren. Erst zwölf Jahre spĂ€ter gelang dies. Noddacks Experimente waren zu dem Zeitpunkt weitgehend vergessen; das Element erhielt den Namen Technetium.
1934 veröffentlichte Ida Noddack den eingangs zitierten Satz, der zum Durchbruch in der Atomphysik hĂ€tte verhelfen können – wenn sie oder jemand anderes versucht hĂ€tte, die Aussage experimental zu untermauern. Doch galt ein Zerfall der Atome seinerzeit als ausgeschlossen, sodass niemand Noddacks Aussage grĂ¶ĂŸere Beachtung schenkte. Die Chemikerin geriet in Vergessenheit, zumal ihr auch die erstmalige Isolierung und Beschreibung des Rheniums keinen bleibenden Ruhm verschaffte.
Als Entdecker der Kernspaltung ging Otto Hahn in die Geschichte ein. 1938 gelang ihm gemeinsam mit Fritz Straßmann, seinem Assistenten, der Nachweis im Experiment. Nach dem Beschuss einer Uran-Probe mit Neutronen entdeckten sie Spuren von Barium. Weitere Untersuchungen bestĂ€tigten die Erkenntnis. Nach der Veröffentlichung entwickelten Lise Meitner und Otto Robert Frisch die theoretische ErklĂ€rung. Eine der wichtigsten physikalischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts verdanken wir also einem Chemiker, der auf den Spuren einer Chemikerin wandelte, von deren Aussage er wohl nichts gewusst hatte.
Otto Hahn, geboren am 8. MĂ€rz 1879, interessierte sich bereits als Jugendlicher fĂŒr die Chemie. Mit 15 begann er zu experimentieren und ĂŒberzeugte nach dem Abitur seinen Vater, dass ein Studium der Chemie und Mineralogie ihm mehr zusagen wĂŒrde als das vorgesehene Studium der Architektur. Daneben belegte Hahn in Marburg Physik und Philosophie. Bereits 1901 promovierte er ĂŒber „Bromderivate des Isoeugenols“. Am University College London, das er kurz darauf vor allem zur Verbesserung der Sprachkenntnisse besuchte, kam er mit der jungen Radiochemie in Kontakt und machte scheinbar 1905 seine erste Entdeckung. Hahns „Radiothorium“ entpuppte sich aber als Thorium-Isotop, was ihm und anderen Chemikern aber erst bewusst wurde, nachdem Frederick Soddy 1913 ĂŒber die Isotopie publiziert hatte. Als Mitarbeiter im Montrealer Labor von Ernest Rutherford wies Hahn weitere Isotope nach.
1906 kehrte Hahn nach Deutschland zurĂŒck und wurde Assistent Emil Fischers an der Friedrich-Wilhelms-UniversitĂ€t Berlin. Er entdeckte weitere Isotope, darunter das Radiumisotop 228Ra, das in der medizinischen Strahlentherapie weite Verbreitung fand. Derweil habilitierte sich Hahn. 1908/09 legte er die korrekte Deutung des radioaktiven RĂŒckstoßes vor, den die Physikerin Harriet Brooks bereits 1904 beobachtet, aber falsch erklĂ€rt hatte. Gemeinsam mit Lise Meitner, die seit 1907 in Berlin arbeitete, forschte er weiter an Elementen und Isotopen. Ab 1910 Professor, ĂŒbernahm er 1912 die Leitung der radiochemischen Abteilung des neuen Kaiser-Wilhelm-Institutes.
Tragisch verliefen die ersten Kriegsjahre. Wie andere Chemiker wurde Hahn eingezogen und musste Fritz Habers Experimente mit Chemiewaffen begleiten und unterstĂŒtzen.
1916 wurde er entlassen und konnte in Berlin seine Forschungen fortsetzen. Gemeinsam mit Meitner isolierte er eine langlebige AktivitĂ€t des spĂ€ter Protactinium genannten Elementes. Eine kurzlebige AktivitĂ€t hatten bereits 1913 Kazimierz Fajans und Oswald Helmut Göhring entdeckt. 1921 konnte Hahn die Kernisomerie beschreiben, aber nicht deuten; dies gelang erst 1936 Carl-Friedrich von WeizsĂ€cker. In den zwanziger Jahren systematisierte Hahn die Forschung; die „Angewandte Radiochemie“, wie er den Zweig nannte, sollte allgemeine chemische und physikalisch-chemische Fragen beantworten. Aus Vorlesungen, die er 1933 wĂ€hrend einer Gastprofessur an der Cornell University in Ithaka, New York, gehalten hatte, leitete er das Lehrbuch „Applied Radiochemistry“ ab, das fortan Generationen als Leitfaden diente.
WĂ€hrend der Jahre des Hitler-Regimes half Hahn verschiedenen Kollegen bei der Flucht aus Deutschland, unter anderem Lise Meitner. Zugleich setzte er aber seine Forschungen fort, obwohl ihm spĂ€testens mit Entfesselung des Zweiten Weltkrieges hĂ€tte bewusst werden mĂŒssen, dass die Machthaber von Atomwaffen trĂ€umten. Hahn gehörte zwar nicht zu den Wissenschaftlern, die das Vorhaben vorantrieben; diesbezĂŒglich haben Werner Heisenberg und Carl-Friedrich von WeizsĂ€cker mehr Schuld auf sich geladen. Hahn wirkte am so genannten Uranprojekt aber mit. Dass Deutschland keine Atombombe bauen konnte, war wohl zum einen auf glĂŒckliche FĂŒgungen zurĂŒckzufĂŒhren, beispielsweise einige Interpretationen, die in die Sackgasse fĂŒhrten, zum anderen auf die zeittypischen erratischen Entscheidungen von Politik und MilitĂ€r. In Spaltversuchen gelang es Hahn wĂ€hrend der Kriegsjahre, weitere 25 Elemente und mehr als 100 Isotope zu belegen.
Die Briten internierten unmittelbar nach Kriegsende die Wissenschaftler unweit Cambridges. Dort erfuhr Hahn vom Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und gehörte unter den Internierten zur Minderheit, die eine persönliche Verantwortung fĂŒr die Leiden der japanischen Zivilbevölkerung spĂŒrte und bekannte. Den kurz darauf nachtrĂ€glich fĂŒr 1944 verliehenen Nobelpreis fĂŒr Chemie konnte er wegen der Internierung erst 1946 entgegennehmen.

1979 wĂŒrdigte die DDR Otto Hahn. Gerhard Stauf notierte neben dem PortrĂ€t die Formel der Kernspaltung, MiNr. 2406 (Abb. Schwaneberger Verlag).

1979 wĂŒrdigte die DDR Otto Hahn. Gerhard Stauf notierte neben dem PortrĂ€t die Formel der Kernspaltung, MiNr. 2406 (Abb. Schwaneberger Verlag).

Im Januar 1946 durften die Wissenschaftler nach Deutschland zurĂŒckkehren. Hahn nahm die Forschungen wieder auf und fungierte als GrĂŒndungsprĂ€sident der Max-Planck-Gesellschaft, der Nachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Dank seiner internationalen Reputation konnte er der Max-Planck-Gesellschaft schnell zu weltweiter Anerkennung verhelfen. Inwiefern sein politisches Engagement gegen die atomare AufrĂŒstung dazu beitrug, ist umstritten. Von seiner Auffassung, dass die militĂ€rische Nutzung von Forschungsergebnissen einen Missbrauch der Wissenschaft darstelle, konnte er nĂ€mlich seinerzeit nur eine Minderheit ĂŒberzeugen. Die Mehrheit dachte anders, wenn auch wohl nicht ganz so primitiv wie Franz-Josef Strauß, der Hahn als „alten Trottel“, titulierte, der nachts nicht schlafen könne, wenn er an Hiroshima denke. Dass die Bundeswehr keine Atomwaffen bekam, war denn auch keineswegs auf die am 12. April 1957 verbreitete Göttinger ErklĂ€rung von 17 fĂŒhrenden westdeutschen Atomwissenschaftlern gegen die nukleare AufrĂŒstung zurĂŒckzufĂŒhren. Vielmehr misstrauten die Westalliierten den Deutschen. International unterstĂŒtzte Hahn unter anderem den Appell Linus Paulings an die Vereinten Nationen. Pauling bezeichnete Hahn spĂ€ter als „eines meiner Vorbilder“.
Mit 81 Jahren legte er 1960 die PrĂ€sidentschaft der Max-Planck-Gesellschaft nieder und wurde zum EhrenprĂ€sidenten gewĂ€hlt. Mitglied und Ehrenmitglied war er in 45 Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften weltweit, bekam ferner 37 hohe Orden und Medaillen verliehen und wurde EhrenbĂŒrger von Berlin, Frankfurt am Main und Göttingen. Zweifelhafte Ehrungen lehnte er ab, so die 1957 angetragene EhrenbĂŒrgerschaft Magdeburgs und die Ehrenmitgliedschaft in der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Auch den Vorschlag, Theodor Heuss im Amt des BundesprĂ€sidenten zu folgen, wies er zurĂŒck. „Zwei Achtziger in Bonn? Einer reicht schon voll und janz 
“, erklĂ€rte er.
Am 28. Juli 1968 verstarb Otto Hahn hochbetagt in Göttingen.


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Authored by: Torsten Berndt

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