Besuch in Guernsey – Gebiet mit neun Inseln
Über Jahrhunderte hinweg pflegten Großbritannien und Frankreich ein ähnliches Verhältnis wie Deutschland und Frankreich. Die Rivalitäten mündeten in manchem Waffengang, doch gelang es beiden Seiten jene Überhöhung zu vermeiden, die auf dem Kontinent das schreckliche Wort der „Erbfeindschaft“ hervorgebracht hat. Während Deutschland und Frankreich inzwischen eng zusammenarbeiten, kann man Großbritannien und Frankreich bis heute mit etwas Augenzwinkern Katz-und-Hund-Beziehungen bescheinigen.
Wo sich Großbritannien und Frankreich treffen
Vielleicht ist das ein wenig auch darauf zurückzuführen, dass die Briten den Franzosen im Atlantik recht nahe kommen. Unweit des Départements Manche ragen 14 Inseln aus dem Meer, die unbefangene Beobachter ohne Weiteres Frankreich zuordnen würden. Doch sie sind britischer Kronbesitz, denn Königin Elizabeth II. hat neben ihrer Haupttätigkeit als Staatsoberhaupt von 16 souveränen Nationen noch einen kleinen Nebenjob. Sie ist Herzogin der Normandie. Deren Gebiete auf dem Festland gingen aber bereits 1204 verloren, als sie Philippe Auguste von Frankreich besetzte. Britische Rückeroberungen in den Kriegen des 14. und 15. Jahrhunderts waren nur vorübergehender Natur.
Nichtsdestoweniger blieb auf den Kanal- oder Normannischen Inseln, wie sie auch genannt werden, der französische Einfluss teilweise erhalten. Davon zeugen nicht nur zahlreiche Ortsbezeichnungen, die eindeutig französisch- und nicht englischsprachig sind. Das Französische ist bis heute sowohl in Guernsey als auch in Jersey neben dem Englischen Amtssprache. Im Alltag dominiert das Englische, doch pflegen die Bewohner das Französische nicht nur in den Kirchen; auf den Kanalinseln fällt der Anteil der Katholiken deutlich höher aus als im Vereinigten Königreich. Als dritte Sprache, die nicht als Amtssprache eingetragen ist, überdauerte ein normannischer Dialekt des Französischen, den heute aber nur noch wenige Bürger beherrschen.
Briten aber nicht unbedingt Europäer
Dem Status der Vogteien – englisch Bailiwicks – entsprechend, sind die Bewohner britische Staatsbürger, aber nicht automatisch Bürger der Europäischen Union. Diesen Status können sie nur erwerben, wenn sie mindestens fünf Jahre ihren Wohnsitz im Vereinigten Königreich nehmen oder die Eltern oder Großeltern von dorther stammen. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Zollunion erleichtert den Handel mit den Kanalinseln, die ansonsten kein Teil der Europäischen Union sind.
Beide Vogteien verwenden eigene Währungen, das Guernsey und das Jersey Pound, deren Wert dem auf den Kanalinseln ebenfalls zugelassenen britischen Pfund entspricht; parallel zu britischen Banknoten trifft man auf der Inselgruppe auch schottische an. Guernsey und Jersey Pound sind im Vereinigten Königreich keine gesetzlichen Zahlungsmittel. Neben Banknoten gibt das Guernseyer Treasury and Resources Department auch Münzen aus. Die monetäre Bindung an das britische Pfund besteht seit 1921. Zuvor zahlte man in Guernsey mit an den französischen Franc gebundenen lokalen Währungen.
Guernsey besteht aus neun Inseln
Die Vogtei von Guernsey umfasst neun der 14 Inseln, ist von der Größe und der Einwohnerzahl her aber deutlich kleiner als Jersey. Immerhin sechs Inseln sind dauerhaft bewohnt: Guernsey, Alderney, Sark, Herm, Jethou und Brecqhou. Burhou, Lihou und Casquets sind nicht besiedelt. Mit gut 65000 Einwohnern kann man Guernsey den Rang einer Mittelstadt zusprechen. Auf Sark gilt bis heute das Lehnswesen. Der Seigneur hält das Land als Lehen der Königin. Politische Bedeutung hat das aber heute nicht mehr.
Wie in Nordirland, Schottland und Wales – England zog erst 2001 nach – kamen auch in Guernsey und Jersey ab 1958 regionale Freimarken der Royal Mail in Umlauf. Im Vereinigten Königreich galten die Regionalmarken der Kronländer bis zum 29. Februar 1972, dem Letzttag der in Pfund-Shillings-Pence-Währung ausgegebenen Postwertzeichen. Auf den Kanalinseln selbst endete ihre Frankaturgültigkeit bereits mit dem 30. September 1969, denn am Folgetag kamen jeweils die ersten eigenen Briefmarken an die Schalter.
Neugierig machende Ausgaben: Postverwaltung im 50-jährigen Spagat
Der Postverwaltung von Guernsey gelang in den vergangenen knapp 50 Jahren der Spagat, ein übersichtliches Ausgabeprogramm mit neugierig machenden Emissionen zu verbinden. Vielfach erscheinen Sätze, die ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln ausleuchten. Eine stolze Zahl Briefmarken erinnert an Ereignisse im Bailiwick of Guernsey selbst, stellt die Landschaft und Sehenswürdigkeiten vor und porträtiert bedeutende Persönlichkeiten mit Bezug zu Guernsey. Philatelisten wissen daher, dass Thomas de la Rue, Begründer der gleichamigen Sicherheitsdruckerei, aus Guernsey stammt, dass Pierre-Auguste Renoir im September 1883 Guernsey besuchte und dort ausdrucksstarke Gemälde seiner nachimpressionistischen Phase schuf und dass Victor Hugo ins Exil auf Guernsey ging, nachdem er sich gegen den Staatstreich Louis-Napoléon Bonapartes gewandt hatte, und dort Les Misérables – Die Elenden – schrieb. Die Leuchttürme der Inselgruppe sind Philatelisten ähnlich vertraut wie wichtige Bauten, und natürlich kamen auch die Guernseyer Münzen schon zu Markenehren. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Ausgaben mit Motiven aus den verschiedenen Epochen der Schifffahrt.
Briefmarken-Emissionen zu vielfältigen Anlässen
Emissionen zu britischen und internationalen Ereignissen sowie Briefmarken und Blocks mit völkerverbindendem Hintergrund runden den philatelistisch-postalischen Reichtum Guernseys ab. Natürlich hält sich der Bedarfspostverkehr angesichts der geringen Einwohnerzahl in eher engen Grenzen. Das gilt indessen für alle kleinen Gebiete, die ihre internationale Bekanntheit oftmals auch der Philatelie verdanken. Die Guernseyer Briefmarken heben zudem die Verbindungen zu Frankreich hervor, tragen somit das ihrige zur Verständigung der beiden Völker bei, die historisch viel gemeinsam haben.
Text: Torsten Berndt; Foto: www.pixabay.com