Postbüchel – vom Briefträger zu Neujahr

Postbüchel – vom Briefträger zu Neujahr

„Postbüchel? Was soll denn das sein?“, mögen sich viele BMS-Leser fragen, die noch nichts von dieser Tradition zum Jahreswechsel gehört haben, die sich immerhin über drei Jahrhunderte zurückverfolgen lässt und mittlerweile auch in Briefmarkenform präsent ist.

Nach der Geschichte dieser Präsente von Briefträgern zum Jahresbeginn fragte ein Rückblick im Postbüchel des Jahrgangs 1913: „Seit wann schreibt sich nun der Brauch dieser literarischen Neujahrsgabe und wer hat ihn eingeführt? Der Name des Mannes ist uns nicht erhalten, der als erster zu den aus der Ferne kommenden schriftlichen Nachrichten die eigene Gabe fügte, aber sein Wirken ist vermutlich zu suchen im 17. Jahrhundert. In diese Zeit … führen uns die ersten bekannten Spuren des Postbüchels und wir dürfen mit Recht annehmen, daß seine Anfänge mit der dauernden Beschäftigung bestimmter Personen im Postdienste, somit mit der Schaffung eines geregelten Postdienstes überhaupt, zusammenfallen, wie wir dies unter den Familien Taxis und Paar finden.“

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Links: Ältestes Postbüchel, Wien 1701: „eine sehr genaue und ordentliche Beschreibung“ der Stadt, verfasst vom kaiserlicher Postamtsbriefträger Johann Jordan. Rechts: Postbüchel 1892 für „Groß-Wien“, erstmals mit Einbeziehung der Vororte (Quelle: Austria-Forum).

Es sei wohl nicht zuletzt die Achtung vor seinem ehrwürdigen Alter gewesen, dass die Postbehörde nicht schon im beginnenden 20. Jahrhundert dem weiteren Erscheinen solcher Postbüchel ein Ende setzte, wie die Absicht bestand.
Heute verweist die Österreichische Post mit Stolz auf diese Tradition und hat schon etliche personalisierte Ausgaben mit Abbildungen von hübschen Illustrationen der einstigen Titelseiten produziert.

Am Anfang: ein Stadtplan

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Um die Jahrhundertwende ­erhielten die Postbüchel dekorative mehrfarbige Titelseiten.

Das älteste Wiener Postbüchel, das nach bisherigem Wissen erhalten geblieben ist, verfasste Johann Jordan (1665 – 1738). In der Geschichte der Stadt wird er als „kaiserlicher Postamtsbriefträger und Käsestecher“ geführt. 1701 ließ er das erste Wiener Gassenverzeichnis unter dem Titel „Schatz, Schutz und Schanz des Erzherzogtums Österreichs“ drucken, eine „sehr genaue und ordentliche Beschreibung aller Gassen, Platz, Palläst, Häuser und Kirchen“. Damit half er erheblich bei der Orientierung in der Stadt, denn bis zur Einführung der Häusernummerierung durch Kaiserin Maria Theresia 1770 waren nur Schilder und Besitzernamen Anhaltspunkte für die Adresse.

Zum neuen Jahre

Den werthen Gönnern sei vor Allen
In diesem Jahr’ das schönste Glück,
Der Himmel habe Wohlgefallen
An Ihrem irdischen Geschick!
Der Briefe Träger lauft und schwitzet,
Er kennt vor Freude sich nicht aus,
Und ob es regnet oder blitzet,
Er trägt den Gruß von Haus zu Haus!
Er sei willkommen, werthe Gönner,
Weil er aus reinem Herzen fließt,
Und immer sei ihr Leben schöner,
Und herzlich heute Sie gegrüßt!

Postbüchel Linz, 1854

Jordan bezeichnete sich auf der Titelseite selbst als „der römische kayserliche majestätische Obrist-Hoff-Post-Ampts Tax-Briefftrager und Burger“. Er begann seine Laufbahn als Briefträger der inländischen Post; 1702 kaufte er das Haus „Zum Postherndl“ (Posthörnchen) in der Lederergasse 9. Spätestens ab 1725 war er Briefträger der frei- und ausländischen Briefe und behielt diese Stellung Zeit seines Lebens. 1726 leistete er Dienst in Baden und Wiener Neustadt. 1728 wurden seine Jahresbezüge auf Lebenszeit um 50 Gulden erhöht (Wien Geschichte Wiki).

Im Vorwort des historischen Postbüchel von 1701 erzählt Jordan, er habe sich zur „Beschreibung dieser preiszwürdigsten Kays. Residenz-Statt … unterfangen, weil mein Briefftrager / Ampt mit sich bringet / dieselbe gleichsamb mit unaufhörlichen Fleisz und unverdrossener Mühe durchzulauffen / und zu besuchen / verhoffend denen jenigen / welche fast täglich zu mir schicken und kommen / und nachzufragen / wo respective einer oder anderer einlogiert seye / dadurch nicht geringe Information und Vergnügen zu geben.“

So wussten Briefträger damals mit am besten Bescheid, wer wo wann anzutreffen war, und was sich in einem Ort tat, bevor Nachrichten gedruckt werden konnten. „Lange bevor das Zeitungswesen sich entwickelte und als es noch in den Kinderschuhen steckte, da war der Briefträger wohl auch der Vermittler mancher Stadtneuigkeit“, meinte der Rückblick. Der Briefträger hatte ja damals noch Zeit und auf eine Minute oder mehrere kam es nicht an.

Humorvolle Präsente

Da die Briefträger lieber gute als schlechte Nachrichten brachten und an der „werten Gönnerschar“ gerne fröhliche Gesichter sahen, halfen sie, wo es nur anging, gerne mit einem Scherz, witzigem Spruch oder einer launigen Erzählung nach. Worauf es besonders ankam: die stilvolle Übermittlung von guten Wünschen zum neuen Jahr für die Gönnerschaft, die das nachhaltige Präsent mit einem erfreulichen Trinkgeld honorieren sollte.

Diese Mischung aus nützlichen Informationen – Kalender, Posttarife, Verbindungen, Ratschläge – und humorvoller Unterhaltung mit Anekdoten und Wortspielen kennzeichnet eine Vielzahl unterschiedlicher Postbüchel bis weit ins 20. Jahrhundert. Eine umfangreiche Dokumentation dieser Tradition präsentierte 2007 eine Ausstellung unter dem Titel „P(r)ost Neujahr !“ im Technischen Museum Wien. Während des Ersten Weltkriegs wurden von 1914 bis 1918 „Kriegspostbüchel“ aufgelegt. Zwischen 1921 und 1928 wurden die Postbüchel von der Postgewerkschaft verboten – man war der Ansicht, die „Neujahrsbetteleien“ seien eines Staatsbediensteten unwürdig. Auch von 1938 bis 1953 erschienen keine Editionen.

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Nützliche Angaben aus dem Postbüchel 1911: eine Tabelle der Porto-Tarife.

Sammlung

Eine umfangreiche Sammlung von 82 österreichischen Postbücheln aus den Jahren 1863 bis 1938 offerierte das Antiquariat Löcker, zusätzlich einen Sammelband von 25 Ausgaben der „Postbüchel“ aus den Jahren 1867 bis 1873. Jedes Heft umfasste 10 bis 30 Seiten mit Witzen, Anekdoten, Gedichten, zum Teil auch mit Illustrationen begleitet. Einige Stücke wurden eingestempelt oder handschriftlich mit dem Namen des Briefträgers versehen, der die Gabe einst überreichte. Der privat erstellte Halbleinenband mit Rückentitel „Wiener Postbüchel Literatur“ und Exlibris des einstigen Besitzers enthielt bis zu fünf verschiedene Exemplare eines Jahrgangs, insgesamt rund 570 Seiten.

Historische Quellen

Die Oberösterreichische Landesbibliothek hat einige Postbüchel aus Linz zwischen 1854 und 1913 digitalisiert, die man online betrachten kann.
Die älteste vertretene Ausgabe erschien unter dem Titel „Große Parade und allgemeines Ausrücken! Komisches Postbüchel, für das höchst merkwürdige und noch nie dagewesene Jahr 1854. Ehrfurchtsvoll dargebracht von sämmtlichen k.k. Oberpostamts-Briefträgern in Linz.“

Neben den gereimten Zeilen „Zum neuen Jahre“ enthält es Gedichte wie „Felix Austriae nube“, „Was heißt man Pech?“, „Wenn ich doch nur schon Ratsherr wär“ und „Zu guter Letzt“; Humor verbreiteten Anekdoten, eine Witz-Revue, Druckfehler, „Blitzdumme Annoncen“ oder eine „Auktion sehr merkwürdiger Raritäten“. Ein angeblicher Brief einer Wienerin in Mundart berichtete über ihre abenteuerliche Reise nach Amerika.

In ihrer Reihe mit personalisierten Ausgaben zum Thema „Postgeschichte“ hat die österreichische Post die Edition 5 von 2015 dem Sujet „Post-Büchel“ gewidmet. Nur 1000 Stück wurden in Form von Kleinbogen mit je 20 Marken und interessanten Randdrucken aufgelegt.

Autor: Michael Burzan


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Authored by: BMS-Redaktion

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