Aus der Not geboren: Der Bund der Philatelisten
Nein, es war keine Liebeshochzeit, als sich im Juli 1924 der 1896 gegründete Bund deutscher und österreichischer Philatelisten-Vereine und sein Rivale, der seit 1897 bestehende Germania-Ring, zum Bund deutscher Philatelisten-Verbände im In- und Auslande zusammenschlossen. Die Not der Inflationszeit, die den Vereinen schwindende Mitgliederzahlen beschert und zum Tod mehrerer renommierter philatelistischer Zeitschriften geführt hatte, waren die nüchternen Begleitumstände der Hochzeit. Vornehmlich nördlich des Mains vertreten hatte der Germania-Ring die Krisenjahre relativ besser überstanden und sein Bulletin, die Germania-Berichte, am Leben halten können. Mehr oder minder offen beansprucht er im neuen Bündnis eine Führungsrolle. Konzeptionell und strukturell gehen die Vorstellungen der beiden Partner oft weit auseinander, durch Konkurrenzdenken geprägte Auseinandersetzungen sind an der Tagesordnung. Dennoch gibt es eine Reihe positiver und nachhaltiger Leistungen, so die Einrichtung von Bundesstellen (u. a. für Prüfwesen, Fälschungsbekämpfung oder philatelistische Literatur), die Zeitschrift Das Postwertzeichen, die Gründung von spezialisierten Arbeitsgemeinschaften (Kolonialmarken 1928, Infla 1931, SAVO / Altbrief-Sammler 1933) und insbesondere die Unterstützung von Dr. Herbert Munk bei der Herausgabe der 11. Auflage des Kohl-Handbuchs. Auch die Ausrichtung der IPOSTA 1930 darf sich der Bund als Verdienst auf die Fahnen schreiben, nachdem der Germania-Ring lange Zeit vehement für eine internationale Ausstellung 1929 in Leipzig plädiert hatte.
„Deutsche, sammelt deutsche Marken!“
Ohne Schnörkel schildert Kiepe die Entwicklung des Bundes, sachlich und kommentarlos wie in einem Polizeiprotokoll, stilistisch geschliffen und bestens dokumentiert, was über 200 Quellenverweise verdeutlichen. In Ermangelung vorliegender Arbeiten zur Geschichte der deutschen Philatelie vor 1945 recherchierte er intensiv in der philatelistischen Presse jener Zeit, gelegentlich in Jubiläumsfestschriften und ausgiebig im Bundesarchiv Berlin, wo es ihm vor allem um die Erkundung von NSDAP-Mitgliedschaften prominenter Philatelisten ging.
So nimmt denn auch der Zeitabschnitt ab Januar 1933 breiten Raum ein, wobei Kiepe meisterhaft die politischen Ereignisse in Deutschland mit deren Auswirkungen auf die organisierte Philatelie zu verknüpfen weiß. Den Auftakt macht die „Machtergreifung des Alfred Bock“, der sich bereits im Juni 1933 in einem Handstreich des Internationalen Postwertzeichen-Händler-Verbandes (IPHV) bemächtigt. Wegen unlauterer Geschäfte abgesetzt und verhaftet, wird der linientreue Hermann E. Sieger in Lorch sein Nachfolger. Im Sinne der „nationalen Bewegung“ neu organisiert wird der Händlerverband zum Vorreiter der Gleichschaltung von Vereinen und Verbänden. Obwohl eigentlich auf den öffentlichen Dienst bezogen, hält das Führerprinzip Einzug in die Vereine. „Führerprinzip heißt autoritäre Führung. Autoritäre Führung heißt Verantwortung nach oben, Autorität nach unten“. Erstes angesehenes Opfer ist der Hamburg-Altonaer Verein. Der 39. Philatelistentag und 10. Bundestag in Aschersleben im August 1933 steht schon weitgehend im Zeichen der „neuen Zeit“, auch wenn es dort noch nicht zur angestrebten Satzungsänderung mit Aufnahme des Führerprinzips kommt. Im November gibt Gustav Kobold von Infla Berlin die Parole aus: „Deutsche, sammelt deutsche Marken!“ und macht die Beschäftigung mit Briefmarken auf diese Weise zum „Dienst am deutschen Volkstum“. Letztlich vergebens kämpfen die alten noch selbstständigen Vereine und Verbände gegen die vereinnahmende Gleichschaltung und Bevormundung.
Anwendung des Arierparagraphen
Deutschlandweit finden vereinsintern zum Teil erbitterte Auseinandersetzungen um die Anwendung des Arierparagraphen statt. Den längsten Widerstand leistet der Berliner Philatelisten-Klub. Dennoch, im Sommer 1935 verfügt eine neue Gesetzesverordnung: „Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein“, und in Anwendung dieses Paragraphen auch nicht Mitglied in einem Verein. Der Aderlass von verdienten Philatelisten ist erheblich. Der Berliner Philatelisten-Klub verliert mit Dr. Herbert Munk und Dr. Siegfried Ascher weitere 40 von 133 Mitgliedern, einige davon verlassen den Verein aus Solidarität. Auch international hat der Vereinsausschluss von Juden Folgen: der wenige Tage später stattfindenden Ausstellung OSTROPA bleiben aus Solidarität mit dem als Juror bestellten und nun geschassten Dr. Munk elf ausländische Preisrichter fern – ein internationaler Boykott!
Die Demontage des Bundes deutscher Philatelisten-Verbände im In- und Auslande lässt sich nicht mehr aufhalten. Im Mai 1937 vereinigt Richard Renner die im Bund verbliebenen Verbände mit dem NS-Reichsverband der Philatelisten. – Konzentriert und ohne Umschweife liefert Kiepe mit dieser Chronik einen lesenswerten Beitrag zu einer Epoche deutscher Philateliegeschichte, um die andere gern einen Bogen machten.
Kiepe, Hansjürgen, Der Bund der Philatelisten 1924–1937. Format 14 x 21 cm, 112 Seiten mit 38 Abb. Hardcover, Fadenheftung. Eibelstadt: Arbeitsgemeinschaft der Sammler deutscher Kolonialwertzeichen e.V., 2023. Preis: 15,00 Euro + 3 Euro Porto. Erhältlich bei Tilmann Nössig, Koppenstr. 16, 10243 Berlin, E-Mail: Geschaeftsfuehrer@kolonialmarken.de.
Rainer von Scharpen
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